02.02.2009, 21:00
Aus der gestrigen Welt am Sonntag ein Erlebnisbericht: Mit Aeroflot nach BKK
Zitat:
Meine unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug
Von Ben Posener 1. Februar 2009, 03:32 Uhr
Wer mit Aeroflot nach Bangkok fliegt, kann zwar ein paar Hundert Euro sparen, ist aber in einer scheppernden, fast 20 Jahre alten Iljuschin unterwegs. Es gibt kein Bordkino und keine Musik, dafür grimmige Flugbegleiter, mieses Essen und Sitznachbarn, die sich erbrechen. Ein Testbericht
Der kälteste Winter seit 20 Jahren! Nichts für meine Freundin und mich. Wir sehnen uns nach Licht und Wärme und beschließen, zwei Wochen Strandurlaub in Thailand zu verbringen. Umweltpolitisch ganz inkorrekt, klar, und die Ticketpreise wirken auch ganz schön abschreckend. Doch dann kommt das Angebot durch den Onlinekorridor: 900 Euro! Teuer, aber immerhin ein Drittel günstiger als andere. Der Haken? Es handelt sich um einen Aeroflot-Flug - früher auch als Aeroschrott verspottet - mit fünf Stunden Aufenthalt am Moskauer Scheremetjewo-Flughafen.
Trotzdem sagen wir: Ja! Weg von Frost, von Frust, von Krisenstimmung! Wir sagen einander auch: Heutzutage sind doch alle Airlines gleich, so schlimm wird Aeroflot schon nicht sein! Außerdem waren wir noch nie in Russland, so können wir wenigstens die staatliche Fluggesellschaft und den Moskauer Flughafen intensiv kennenlernen.
Nach Moskau fliegen wir in einem modernen Airbus. Ein gutes Zeichen! Aber dann: Scheremetjewo entpuppt sich als schummriger Bau mit einer Ladenbudenstraße, in der es Chanelfläschchen links, Chanelfläschchen rechts, Chanelbrillen links, Chanelbrillen rechts gibt, sonst nichts. Außer einem einzigen Restaurant, doch dort gibt es für mich als Vegetarier nur ein Gericht: Pommes und Salatbeilage für 16 Euro. Ziemlich übersichtlich für fünf Stunden Aufenthalt.
Wir sind trotzdem guter Dinge: Schließlich haben wir ja über 300 Euro gespart. Endlich beginnt das Boarding - doch was sehe ich an unserem Gate stehen? Ein riesiges unbekanntes Flugobjekt, das sich als eine Iljuschin 96 entpuppt - gebaut Anfang der 90er-Jahre, also fast zwei Jahrzehnte alt. Sechs davon betreibt die Aeroflot, ein paar fliegen für Kubas Cubana, die 2008 noch auf der schwarzen Liste der Airlines stand, für die in der EU ein Flugverbot besteht.
Düstere Bilder steigen in mir auf. Können solche alten Schüsseln überhaupt fliegen? Warten die ihre Maschinen überhaupt korrekt? Und liegt der letzte Absturz einer Aeroflot-Maschine, bei dem alle 88 Menschen an Bord starben, nicht erst wenige Monate zurück? (Es war im September 2008.)
Doch es gibt kein Zurück. Wir steigen ein und sitzen ganz hinten, neben dem Klo, auf knallblauem Kunstleder. Vor uns liegt ein Tunnel im Volkskino-Kühlhaus-Design, nur dass es weder Leinwand noch die üblichen Monitore gibt. Die an den DDR-Trabant erinnernde Innenverkleidung folgt der dünnen Flugzeughaut, und einen Ruf-Knopf gibt es auch nicht. Aber wir wollen auch nicht rufen, denn die strengen Gesichter der Flugbegleiter laden nicht dazu ein. Ihre 2003 neu gestalteten Uniformen sollen, wie ich hinterher lese, Kompetenz vermitteln - auf mich wirkt das Navy-Blau nicht beruhigend.
Ich bereue nun, während des langen Zwischenstopps keinen russischen Wodka getestet zu haben, so wie die Gruppe Briten, die im Terminal "Heyooo we're goin' to Bang-Cock!" gebrüllt haben. Jetzt sitzen sie in unserer Nähe. Ganz leise.
Nicht zu überhören ist dagegen das Gerassel der Lautsprecheranlage, die so laut kratzt, dass man von der Sicherheitseinweisung kein Wort versteht. Normalerweise ist mir die egal, aber in diesem Ufo hätte sie mich schon interessiert ... Die Crew blickt grimmig. Gehört das vielleicht zum Entertainmentprogramm? Bordunterhaltung gibt es ansonsten nämlich nicht: Kopfhörerbuchsen? Fehlanzeige. Die Bord-Zeitschrift ist auf Russisch. Keine Monitore, also keine Routenkarten oder Filme. Apropos Film: Warum muss ich eigentlich dauernd an "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" denken, in dem die Hälfte der Passagiere (inklusive Piloten) eine Fischvergiftung erleidet?
Und dann - donner, rumpel, schepper - sind wir auch schon oben! Ich bin überrascht. Es heißt doch immer: Start und Landung seien die gefährlichsten Flugphasen. Die Hälfte dieser Gefahren ist also überstanden, die zehn Stunden Flug, die wir vor uns haben, mal nicht mitgerechnet, ebenso das Luftloch, aus dem die Maschine kurz nach dem Start zitternd entkommt. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Iljuschin-Fabrik in Woronesch, wo der Flieger zusammengeschraubt wurde. Ich sehe einen Lastenstest an den Flügeln. Und ich sehe, wie das Teil bricht - wie eine Salzstange ...
Beruhigend: Die Crew hegt solche Gedanken nicht, sie ist unterwegs und fragt: "Fisch oder Fleisch?" Moment mal: Fisch??! Spinnen die? Gehen die nie ins Kino? Glücklicherweise hat meine vegetarische Bestellung geklappt. Doch beim Anblick dieses braunen, labberigen Zeugs habe ich plötzlich gar keinen Hunger mehr. Meine Freundin nimmt das Fleischgericht, eine Art Putenwurstscheibenpilzkompott. Sie kriegt tatsächlich die Hälfte runter. Ein Fehler, aber das wissen wir erst später.
Um das Vergnügen zu steigern, bestelle ich eine Mini-Rotweinflasche (die selbstverständlich bezahlt werden muss). Das Zeugs macht müde, aber an Schlaf ist nicht zu denken - ich sitze direkt neben dem Klo, höre jedes Rauschen und Spülen und das Dauergeplapper der Menschen in der Warteschlange. Also vertreibe ich mir die Zeit mit weiteren Rotweinflaschen.
Neun Stunden später schweben wir auf Bangkok zu. Ich rufe: "Sonne! Palmen! Tolles Essen! Suzanne, wie geil ist das! ... Suzanne?" "Uhäääböööösch!" lautet ihre Antwort, denn sie hat sich exakt beim Aufsetzen in ihre Aeroflot-Kotztüte (immerhin vorhanden) übergeben. War wohl der Putenfisch.
Dann macht es Krawumm-schepper-quietsch! - ein Getöse aus Plaste und Elaste, das vorläufig letzte Aufbäumen der sozialistischen Innenverkleidung. Einer der Briten - noch blasser als gewohnt - sieht zu uns herüber und flüstert: "Wir müssen in dem Ding auch wieder zurückkommen!" Nun, wir haben es geschafft - und dafür bin ich den Aeroflot-Piloten dankbar. Sicherlich bestand zu keiner Zeit Gefahr; wie meine Internetrecherche zeigt, gab es noch keinen Absturz einer Iljuschin 96. Aber würde ich das Flugerlebnis weiterempfehlen? Njet! Ich betrachte die 300 gesparten Euro - um Keith Richards zu zitieren - als "the price of an education", als gezahltes Lehrgeld.
Zitat:
Meine unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug
Von Ben Posener 1. Februar 2009, 03:32 Uhr
Wer mit Aeroflot nach Bangkok fliegt, kann zwar ein paar Hundert Euro sparen, ist aber in einer scheppernden, fast 20 Jahre alten Iljuschin unterwegs. Es gibt kein Bordkino und keine Musik, dafür grimmige Flugbegleiter, mieses Essen und Sitznachbarn, die sich erbrechen. Ein Testbericht
Der kälteste Winter seit 20 Jahren! Nichts für meine Freundin und mich. Wir sehnen uns nach Licht und Wärme und beschließen, zwei Wochen Strandurlaub in Thailand zu verbringen. Umweltpolitisch ganz inkorrekt, klar, und die Ticketpreise wirken auch ganz schön abschreckend. Doch dann kommt das Angebot durch den Onlinekorridor: 900 Euro! Teuer, aber immerhin ein Drittel günstiger als andere. Der Haken? Es handelt sich um einen Aeroflot-Flug - früher auch als Aeroschrott verspottet - mit fünf Stunden Aufenthalt am Moskauer Scheremetjewo-Flughafen.
Trotzdem sagen wir: Ja! Weg von Frost, von Frust, von Krisenstimmung! Wir sagen einander auch: Heutzutage sind doch alle Airlines gleich, so schlimm wird Aeroflot schon nicht sein! Außerdem waren wir noch nie in Russland, so können wir wenigstens die staatliche Fluggesellschaft und den Moskauer Flughafen intensiv kennenlernen.
Nach Moskau fliegen wir in einem modernen Airbus. Ein gutes Zeichen! Aber dann: Scheremetjewo entpuppt sich als schummriger Bau mit einer Ladenbudenstraße, in der es Chanelfläschchen links, Chanelfläschchen rechts, Chanelbrillen links, Chanelbrillen rechts gibt, sonst nichts. Außer einem einzigen Restaurant, doch dort gibt es für mich als Vegetarier nur ein Gericht: Pommes und Salatbeilage für 16 Euro. Ziemlich übersichtlich für fünf Stunden Aufenthalt.
Wir sind trotzdem guter Dinge: Schließlich haben wir ja über 300 Euro gespart. Endlich beginnt das Boarding - doch was sehe ich an unserem Gate stehen? Ein riesiges unbekanntes Flugobjekt, das sich als eine Iljuschin 96 entpuppt - gebaut Anfang der 90er-Jahre, also fast zwei Jahrzehnte alt. Sechs davon betreibt die Aeroflot, ein paar fliegen für Kubas Cubana, die 2008 noch auf der schwarzen Liste der Airlines stand, für die in der EU ein Flugverbot besteht.
Düstere Bilder steigen in mir auf. Können solche alten Schüsseln überhaupt fliegen? Warten die ihre Maschinen überhaupt korrekt? Und liegt der letzte Absturz einer Aeroflot-Maschine, bei dem alle 88 Menschen an Bord starben, nicht erst wenige Monate zurück? (Es war im September 2008.)
Doch es gibt kein Zurück. Wir steigen ein und sitzen ganz hinten, neben dem Klo, auf knallblauem Kunstleder. Vor uns liegt ein Tunnel im Volkskino-Kühlhaus-Design, nur dass es weder Leinwand noch die üblichen Monitore gibt. Die an den DDR-Trabant erinnernde Innenverkleidung folgt der dünnen Flugzeughaut, und einen Ruf-Knopf gibt es auch nicht. Aber wir wollen auch nicht rufen, denn die strengen Gesichter der Flugbegleiter laden nicht dazu ein. Ihre 2003 neu gestalteten Uniformen sollen, wie ich hinterher lese, Kompetenz vermitteln - auf mich wirkt das Navy-Blau nicht beruhigend.
Ich bereue nun, während des langen Zwischenstopps keinen russischen Wodka getestet zu haben, so wie die Gruppe Briten, die im Terminal "Heyooo we're goin' to Bang-Cock!" gebrüllt haben. Jetzt sitzen sie in unserer Nähe. Ganz leise.
Nicht zu überhören ist dagegen das Gerassel der Lautsprecheranlage, die so laut kratzt, dass man von der Sicherheitseinweisung kein Wort versteht. Normalerweise ist mir die egal, aber in diesem Ufo hätte sie mich schon interessiert ... Die Crew blickt grimmig. Gehört das vielleicht zum Entertainmentprogramm? Bordunterhaltung gibt es ansonsten nämlich nicht: Kopfhörerbuchsen? Fehlanzeige. Die Bord-Zeitschrift ist auf Russisch. Keine Monitore, also keine Routenkarten oder Filme. Apropos Film: Warum muss ich eigentlich dauernd an "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" denken, in dem die Hälfte der Passagiere (inklusive Piloten) eine Fischvergiftung erleidet?
Und dann - donner, rumpel, schepper - sind wir auch schon oben! Ich bin überrascht. Es heißt doch immer: Start und Landung seien die gefährlichsten Flugphasen. Die Hälfte dieser Gefahren ist also überstanden, die zehn Stunden Flug, die wir vor uns haben, mal nicht mitgerechnet, ebenso das Luftloch, aus dem die Maschine kurz nach dem Start zitternd entkommt. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Iljuschin-Fabrik in Woronesch, wo der Flieger zusammengeschraubt wurde. Ich sehe einen Lastenstest an den Flügeln. Und ich sehe, wie das Teil bricht - wie eine Salzstange ...
Beruhigend: Die Crew hegt solche Gedanken nicht, sie ist unterwegs und fragt: "Fisch oder Fleisch?" Moment mal: Fisch??! Spinnen die? Gehen die nie ins Kino? Glücklicherweise hat meine vegetarische Bestellung geklappt. Doch beim Anblick dieses braunen, labberigen Zeugs habe ich plötzlich gar keinen Hunger mehr. Meine Freundin nimmt das Fleischgericht, eine Art Putenwurstscheibenpilzkompott. Sie kriegt tatsächlich die Hälfte runter. Ein Fehler, aber das wissen wir erst später.
Um das Vergnügen zu steigern, bestelle ich eine Mini-Rotweinflasche (die selbstverständlich bezahlt werden muss). Das Zeugs macht müde, aber an Schlaf ist nicht zu denken - ich sitze direkt neben dem Klo, höre jedes Rauschen und Spülen und das Dauergeplapper der Menschen in der Warteschlange. Also vertreibe ich mir die Zeit mit weiteren Rotweinflaschen.
Neun Stunden später schweben wir auf Bangkok zu. Ich rufe: "Sonne! Palmen! Tolles Essen! Suzanne, wie geil ist das! ... Suzanne?" "Uhäääböööösch!" lautet ihre Antwort, denn sie hat sich exakt beim Aufsetzen in ihre Aeroflot-Kotztüte (immerhin vorhanden) übergeben. War wohl der Putenfisch.
Dann macht es Krawumm-schepper-quietsch! - ein Getöse aus Plaste und Elaste, das vorläufig letzte Aufbäumen der sozialistischen Innenverkleidung. Einer der Briten - noch blasser als gewohnt - sieht zu uns herüber und flüstert: "Wir müssen in dem Ding auch wieder zurückkommen!" Nun, wir haben es geschafft - und dafür bin ich den Aeroflot-Piloten dankbar. Sicherlich bestand zu keiner Zeit Gefahr; wie meine Internetrecherche zeigt, gab es noch keinen Absturz einer Iljuschin 96. Aber würde ich das Flugerlebnis weiterempfehlen? Njet! Ich betrachte die 300 gesparten Euro - um Keith Richards zu zitieren - als "the price of an education", als gezahltes Lehrgeld.